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Thränen des Vaterlandes anno 1636 vs. Todesfuge 1947

Andreas Gryphius und Paul Celan

 

WIr sind doch nunmehr gantz / ja mehr denn gantz verheeret!

 

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts

 

Der frechen Völcker Schaar / die rasende Posaun
Das vom Blutt fette Schwerdt / die donnernde Carthaun /
Hat aller Schweiß / und Fleiß / und Vorrath auffgezehret

 

Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland
dein goldenes Haar Margarete

 

Die Türme stehn in Glutt / die Kirch ist umgekehret.

 

er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne
er pfeift seine Rüden herbei

 

Das Rathauß ligt im Grauß / die Starcken sind zerhaun /
Die Jungfern sind geschänd’t / und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer / Pest / und Tod / der Hertz und Geist durchfähret.

 

Dein aschenes Haar Sulamith

 

Hir durch die Schantz und Stadt / rinnt allzeit frisches Blutt.
Dreymal sind schon sechs Jahr / als vnser Ströme Flutt /
Von Leichen fast verstopfft / sich langsam fort gedrungen.

 

wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau

 

Doch schweig ich noch von dem / was ärger als der Tod /

 

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

 

Was grimmer denn die Pest / und Glutt und Hungersnoth

 

der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau

 

Das auch der Seelen Schatz / so vielen abgezwungen.

Zerstörte Alte Zionskirche Dresden 1945
Alte Zionskirche Dresden 1945 (Gemeindearchiv)

Starker Tobak?  

Dreihundertelf Jahre liegen zwischen den Texten und doch haben beide Autoren mit ansehen müssen, wie alles, was ihnen vertraut vorkam, von Krieg und Gewalt zermalmt worden ist. Wir müssen uns gewahr sein, dass wir beide Dichter wörtlich nehmen müssen. Alles war genau so. Alles ist wahr.

Schlimmer sogar: es passiert noch immer, wir müssen nur hinsehen.

Aber wir tun es nicht. Wir lernen nicht. Wir vergessen.

Wir lassen uns treiben und wundern uns im Nachhinein, wie alles geschehen konnte. Doch es passiert nichts aus sich heraus, es ist immer einer verantwortlich.

 

Ich habe die Texte verwoben, um euch zwei Perspektiven zeigen zu können:

Einmal ist einer ist ganz erdrückt vom Leid um ihn, und ein andermal tut einer das Leid. Doch beide haben ein Gesicht, das dürfen wir nie vergessen!

 

Als unsere Stadt brannte, waren es nicht die ‚angloamerikanischen Bomber‘, die das Feuer säten. Wir, die Deutschen, hatten es in die Welt getragen. Die Flugzeuge brachten es nur zurück.

 

Meine Großmutter konnte bis aufs Sterbebett berichten, wie sie von Gruna aus, vor dem Haus liegend, da im Keller kein Platz mehr war, die Bomben fallen sah, wie sie auf der Suche nach ihren Eltern über Leichen steigend durch brennende Straßen irrte.

 

Noch leben viele, die es miterlebt haben.

 

Und doch ist der nationalistische Geist der dreißiger Jahre wieder modern und in (zu) vieler Munde; nicht nur montags kann man es hören und sehen.

 

Es ist falsch, solchem Denken tolerant zu begegnen. Gryphius und Celan zeigen uns, wohin dieser Geist des Hasses führt.

Aufzustehen für den Frieden heißt vor allem jeder Ausgrenzung den Kampf anzusagen.

Sagte Christus nicht: Liebet einander? Und schalt er nicht den Simon, als er ihn mit dem Schwert verteidigen wollte?  

Das Kreuz, ihr Lieben, ist kein Schmuck, es ist eine Verpflichtung.

 

Jan Holfert

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