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In jeder andächtigen Musik ist Gott gegenwärtig

Predigt zum Sonntag Kantate:
10. Mai 2020 in der Zionskirche

über 2. Chr. 5,2 bis 14

 

Dr. Michael Feist, Bannewitz

 

1. Sehnsucht nach Herrlichkeit

Jeder Mensch trägt in sich eine Sehnsucht nach Herrlichkeit, sucht etwas Großes, Gewaltiges, etwas, für das er sich begeistern kann, für das es sich zu leben lohnt. Wo suchen da Menschen nicht alles: in Schöpfung und Natur, in Kultur und Musik, bei Menschen, anderswo. Da lassen sich wohl auch Elemente von Abglanz finden, aber sie verblassen wieder: Diese Dinge sind vergänglich und erfüllen uns nicht dauerhaft.

 

2. Vor 3000 Jahren

Vor 3.000 Jahren hatte König David den Wunsch, Gott ein Haus zu bauen, einen Ort, an dem Gott - wie im Himmel so auf Erden - gegenwärtig ist und sich in seiner Herrlichkeit zeigt. Salomo konnte dies um 950 vor Christus umsetzen: Er baute in Jerusalem einen prächtigen Tempel.

 

Der herrliche Tempel löste die schlichte Stiftshütte ab, das tragbare Heiligtum, in dem die Bundeslade auf der Wanderung des Volkes Israel durch die Wüste mitgeführt wurde. In ihr lagen die steinernen Tafeln mit den zehn Geboten, die Moses auf dem Berg Horeb empfangen hatte.

 

Im Jahr 587 vor Christus wurde der Tempel durch babylonische Truppen verwüstet und geplündert, nach der Rückkehr des Volkes Israel aus dem babylonischen Exil um 550 der „Zweite Tempel“ errichtet. Im Jahr 70 nach Christus endet die Geschichte des Tempels mit der Zerstörung Jerusalems durch die Römer. Selbst der Tempel war vergänglich.

 

3. Bedeutung für uns?

Was geht uns dieser alte Bericht an? Den Tempel gibt es nicht mehr. Gemeinde ist nicht mehr an einen besonderen heiligen Ort gebunden, um Gott zu begegnen. Anbetung braucht keinen Tempel und festen Ort.

 

Über Ostern konnten wir uns dies wieder neu bewusst machen - in Hausgemeinden, Video-Gottesdiensten, Gebet und Andacht in Kirchen, ungewohnten Formen von Feier und Begegnung, bei herrlicher Musik.

 

Paulus sagt von denen, die an Jesus Christus glauben und ihm verbunden sind: „Ihr seid Gottes Tempel und der Geist Gottes wohne in euch.“ (1. Kor. 3, 16). Er betont: „Wir alle zusammen sind der Tempel des lebendigen Gottes.“ (2. Kor. 6, 16) „Jeder Einzelne ist wie ein Baustein in dem geistlichen Haus, in dem Gott wohnt.“ (1. Petr. 2, 5)

 

4. Einweihung des Tempels

Mit dem Bau des Tempels vor 3.000 Jahren ist der Weg des Volkes Israel vom Sinai zum Berg Zion abgeschlossen. Bei seiner Einweihung wird die Bundeslade als dem zentralen Akt des festlichen Geschehens in das Allerheiligste des Tempels gebracht, die Stiftshütte außer Dienst gestellt. 1. Kön. 8 beschreibt Regie und Ablauf des Festaktes. Unser Text weitet die dortige Beschreibung aus und fügt besonders die hörbaren Elemente der Tempelweihe hinzu, macht sie zu einem besonderen „Klangerlebnis“.

 

5. Gegenwart Gottes

Predigttext, Verse 13 und 14: Ein eindrucksvolles Ereignis - viel mehr als ein Schauspiel oder eine sog. Mega-Performance! Gänsehaut! Ich denke an den Abschlussgottesdienst beim Kirchentag und den beim Posaunenfest mit 16.000 Bläsern im Stadion, große Konzerte mit zahlreichen Chören, andere bewegende, festliche Veranstaltungen: eindrucksvolle, harmonische, berührende Klangfülle - die Einheit aus vielen Stimmen. Sie verschmelzen mit der Gegenwart Gottes.

 

- Alle Instrumente und Stimmen vereinigen sich wie zu einer Stimme.

Es geschieht ein Wunder: Eine Stimme. Sie durchdringt alles, wandelt die Stimmung, erfasst alle und verbindet sie im Lob Gottes.

 

Das ist wie bei einem Orchester, wie in einem Konzert, bei dem sich aus der Vielfalt der Instrumente und Gesangsstimmen ein einheitlicher, harmonischer Klang bildet. (Beispiel: Franz Schmidt, „Das Buch mit den sieben Siegeln“, etwa der Satz „Du bist würdig zu nehmen das Buch …“ oder das herrliche „Halleluja“.)

 

- Es erklingt das Lob Gottes: „Er ist gütig und seine Barmherzigkeit währt ewig.“

Instrumente, Gesang und Wort werden eins. In dieser Einheit verbinden sich alle Elemente zum Gotteslob. In der Nähe Gottes werden Handlung und Musik auf eine höhere Ebene gehoben: „Erhebet eure Herzen!“ Sie übersteigen jede Regie. Alle sind eins.

 

- Gott ist gegenwärtig.


Die Tragestangen der Bundeslade
ragen durch den Vorhang in den Innenraum des Tempels, sind sichtbar, greifbar und begreifbar, reichen hinein in den Alltag der Menschen. Gott ist anwesend.

 

Die Wolke, wie sie vor dem Volk Israel durch die Wüste herzog, erfüllt den Raum. Sie ist Zeichen der Gegenwart Gottes. Sie verbindet das Geschehen im Tempel mit dem Geschehen auf dem Sinai.

 

Gott ist anwesend an diesem Ort, erfüllt ihn, führt alle zusammen.

 

- Die Herrlichkeit Gottes erfüllt den Tempel.

 

Was ist Herrlichkeit? Sie ist schwer zu beschreiben, eher zu erleben - und dann bedarf sie keiner Beschreibung mehr. Ein erhebendes Gefühl, Erfüllt-Sein, Angekommen-Sein, Erfahrung von Güte und Freundlichkeit, Gewissheit bleibender Geborgenheit erleben - wie der verlorene Sohn, den der Vater in seine Arme schließt.

 

Wo finden wir diese Herrlichkeit? Wo Gott gegenwärtig ist - in der Einheit von Gotteslob und Gottes Wort. Unser Text stellt eine enge Verbindung her zwischen Musik und Gottes Herrlichkeit. Musik erscheint darin nicht nur als Ausdruck von Freude und Lob, sondern vor allem als ein Medium, in dem sich die Herrlichkeit Gottes vergegenwärtigt. Gemeinde und Gottesdienst sollen dies erleben lassen und erfahrbar machen.

 

Wir nehmen außerdem wahr:

 

- Gott durchkreuzt die Regie: „sodass die Priester nicht mehr hinzutreten konnten - wegen der Wolke“. Es geht um ihn, seine Gegenwart; sie übersteigt menschliche Planung.

 

- Gotteslob und Gegenwart Gottes bilden eine Einheit. Mit dem Lob Gottes verbindet Gott seine Gegenwart.

 

- In der Musik findet Gotteslob seinen besonderen und ansteckenden Ausdruck. Keine Predigt, keine Ansprache, nur Gotteslob.

 

6. Kantate – „Singet!“

  

Musik ist offenbar von jeher ein wichtiger Bestandteil des Gottesdienstes. Für die Tempelweihe wird das eindrucksvoll geschildert. Musik führt zusammen, verbindet und strahlt aus. Sie gewinnt eine erhebende und belebende Wirkung, die über das reine Musizieren weit hinausgeht.

 

Dostojewski hat das Erleben von Kirchenmusik in der Dresdner Hofkirche eindrucksvoll beschrieben. Der Japaner Masaaki Suzuki, der die Musik von Johann Sebastian Bach in Japan pflegt und im Jahre 2012 die Bachmedaille der Stadt Leipzig erhielt, schilderte bei der Verleihung, wie intensiv Bachs Musik Menschen anspricht und deren Inhalte vermittelt.

 

Musik belebt, ja erfüllt Menschen, und mit ihr nimmt - manchmal ganz überraschend - Gott bei uns Platz. So beschreibt es wunderbar unser alter Text aus der Chronik. Genau an dieser Stelle hat Bach in seiner Bibel in einem Satz notiert, worauf es ihm in seinem Schaffen ankam: „In jeder andächtigen Musik ist Gott in seiner Gnaden Gegenwart.“

 

Singen/Lobgesang zur Ehre Gottes ist immer auch Verkündigung. Die Begleitung mit Instrumenten unterstreicht die gesungenen Worte von der Freundlichkeit und Güte Gottes, etwa in den Gesängen von Taizé.

 

Musik ist also nicht schmückendes Beiwerk zu Wort, Predigt oder „Priestern“, sondern eine eigene Sprache des Evangeliums. So vermag Musik die eine Stimme zu sein, die unsere Seele erreicht mit Gottes Wort und Trost - und als gemeinsames Gotteslob auch großartiges, klingendes, öffentliches Zeugnis vor der Welt (Konzerte, Chöre, Bläser).

  

7. Wann zeigt sich Gottes Herrlichkeit in der Gemeinde?

  

- … wenn Gemeinde Gott ins Zentrum rückt.

 

Wo Gemeinde Gott in der Gestalt von Jesus Christus ins Zentrum rückt, erscheint die Herrlichkeit Gottes. Wenn Jesus Christus in der Gemeinde keinen Platz mehr hat, sind Gottesdienst und Gemeinde ohne Inhalt.

 

- … wenn sich Gemeinde versammelt.

 

Damit Gottes Herrlichkeit in der Gemeinde erscheint, muss Gemeinde zusammenkommen, sich versammeln, im Gottesdienst. Hier ist Gott in besonderer Weise gegenwärtig - nicht in der Natur oder sonst wo, sondern dort, wo Schwestern und Brüder einander begegnen und stärken, „wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind“.

 

- … wenn Gemeinde Gott lobt.

 

„Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, denn seine Güte währet ewiglich!“

 

Diesen Lobvers hatte einst König David gedichtet, als er die Bundeslade nach Jerusalem holen ließ. Sie war im alten Israel das Zeichen dafür, dass Gott mit seiner Güte und Herrlichkeit mitten in seinem Volk wohnt. Dieser Lobvers erklang aufs Neue, als Davids Sohn und Thronfolger Salomo den ersten Jerusalemer Tempel einweihte. Dort bekam die Bundeslade als Zeichen der Gegenwart Gottes einen festen Ort, wo die Israeliten künftig Gott anbeten und seine Hilfe suchen sollten.

 

„Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, denn seine Güte währet ewiglich!“ - So beginnen vier Psalmen. Der zweite Teil des Satzes schallt als Refrain 38mal durch das Alte Testament, davon 26mal in Psalm 136.

 

So beten auch wir Christen, weil Jesus, der uns mit Tod und Auferstehung Gottes Güte und Freundlichkeit gebracht hat, unter uns ist. Nach jeder Abendmahlsfeier singen wir diese Worte als Wechselgesang mit Halleluja, denn im Heiligen Abendmahl ist unser Herr mit Leib und Blut so gegenwärtig, mitten unter uns - wie damals Gott mit der Bundeslade bei den Israeliten.

 

Was für ein Wohlklang, wenn alle in der Gemeinde in ihrer Vielfalt, mit ihren unterschiedlichen Gaben und Aufgaben einmütig zur Ehre Gottes loben: „ein Leib und ein Geist, eine Hoffnung … ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller …“ (Eph. 4, 4-6)

 

Gemeinde ist darin herrlich, dass sie Gottesdienste feiert, die anrühren, einen und ausstrahlen, weil in ihren Gottesdiensten Gottes Herrlichkeit erscheint. Paulus beschreibt das einmal so: „Christus in euch, Hoffnung der Herrlichkeit.“ (Kol. 1, 27) Wenn Christus in mir und durch mich lebt, dann geschieht da ein Stück Herrlichkeit Gottes.

  

8. Gottesdienst: „Gott ist gegenwärtig, lasset uns anbeten!“

Damit sind wir beim Gottesdienst: Unser Text am Sonntag Kantate wirft die Frage auf, was den Gottesdienst eigentlich und grundlegend ausmacht. Was kann und soll im evangelischen Gottesdienst geschehen? Bei der Kirchweihe in Torgau (1544), von wo mit Johann Walter die evangelische Kirchenmusik in Deutschland ihren Ausgang nahm, prägte Martin Luther die sog. Torgauer Formel: nichts anderes „dann das unser Herr selbs mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wieder wiederumb mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang“.

 

Im Gottesdienst geht es darum, dass Gott gegenwärtig ist und selbst redet. Gott spricht, betroffen von dieser Anrede antworten Menschen.

 

„Wo zwei der drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Deshalb zu Beginn jedes Gottesdienstes: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

 

Es bedarf keines festen Gebäudes, aber die Kirche, in der sich regelmäßig Gemeinde trifft, um Gott zu loben und sein Wort zu hören, ist ein besonderer Ort der Begegnung mit Gott, mehr als nur ein Ort, an dem ein Gottesdienst gefeiert wird. Steine, Holz und Gegenstände feiern mit. Deshalb auch in Zeiten von Corona offene Kirchen, möglichst mit Musik.

 

Im Augenblick des gesungenen und musikalisch begleiteten Gotteslobs erfüllt sich die Gegenwart Gottes, wird die Herrlichkeit Gottes spürbar. Gotteslob geschieht durch die Musik, es steht in der Mitte des Gottesdienstes, jeweils nach den Lesungen. Dem dient auch die Liturgie, nicht nur dem geordneten Ablauf, sondern um die Gegenwart Gottes bewusst zu machen und erlebbar werden zu lassen.

 

Unser Gesang im Gottesdienst ist vielleicht das, was am stärksten an die Gegenwart Gottes erinnert, ja, sie spürbar machen kann. Und: „Wer singt, betet doppelt.“

 

Der Kern dessen, was Gottesdienst bedeutet, wird hier entfaltet: die Nähe Gottes spüren, sein Wort aufnehmen, ihn mit Liedern und Musik loben und feiern. Halleluja = Gelobt sei Gott!

 

Bei Gestaltung und Feiern von Gottesdiensten geht es darum, durch alle Mitwirkenden und mit allen Mitteln (Raum, Blumen, Atmosphäre, Wort, Musik, menschlicher Nähe etc.) die Gegenwart Gottes spürbar zu machen, von seiner Anwesenheit erfasst zu werden und seine Herrlichkeit zu erleben, indem Raum, Kopf und Herz von seinem Geist erfüllt werden, Körper, Seele und Geist (wie es das gleichseitige Dreieck des CVJM zum Ausdruck bringt), ganzheitlich.

 

Anliegen und Ziel jedes Gottesdienstes ist das gemeinsame Gotteslob in der Erwartung der Gegenwart Gottes.

  

9. Gott loben, das ist unser Amt

Es wird immer wieder geschehen, weil und wann Gott es will: „Als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den Herrn lobte ‚Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig‘, da wurde das Haus des Herrn erfüllt von seiner Gegenwart.“

 

Dies immer wieder zu erleben wünsche ich uns allen.

 

Amen

  

Gebet

 

Herr, unser Gott, wir loben und preisen Dich. Du bist gütig, Deine Barmherzigkeit währt ewig. Dafür danken wir Dir.

 

Du weißt, dass uns ein frohes und dankbares Lied nicht immer leicht fällt, zumal in diesen Wochen. In unser Danken bricht oft die Klage, in unsere Freude die Sorge ein. Aber Deine Treue ist alle Morgen neu. Du bist bei uns auch in Tagen der Not und der Hoffnungslosigkeit.

 

Darum preisen wir Deine Barmherzigkeit und singen Dein Lob.

 

Wir denken an die Menschen, denen Leid und Sorgen den Mund verschlossen haben, die nicht singen können, sondern seufzen, die nicht loben können, sondern weinen. Wir bitten Dich für sie.

 

Wir denken an die Mutlosen, Einsamen, Kranken und Trauernden, alle, die in diesen Wochen Angst haben und nicht wissen, wie es mit ihnen, ihren Familien und Freunden, unserem Volk und Land, den vielen Betroffenen in aller Welt weitergeht. Wir bitten Dich für sie um Bewahrung und Zuversicht.

 

Wir gedenken in diesen Tagen all derer, die im Krieg umgekommen sind, an alle, die Verluste, Wunden und Schäden erlitten haben. Lass uns die Chancen der Freiheit und unserer Möglichkeiten verantwortlich nutzen – für unser Volk und für die Menschen in aller Welt.

 

Am heutigen Muttertag denken wir besonders an alle Mütter, danken Dir für alles, was sie uns sein und für uns tun konnten, bitten Dich für sie um Kraft und um Wertschätzung durch ihre Kinder, um Freude und Erfüllung in ihrem Leben.

 

Segne den Dienst aller Mitarbeiter, die Gottesdienste vorbereiten und gestalten - Prediger und Älteste, Kirchendiener und Blumenspender, Organisten, Instrumentalisten, Chöre, Orchester. Lass sie mit ihrem Dienst dazu beitragen, Dein Rufen zu hören, Deine Liebe zu verstehen, Deine Gnade zu verherrlichen, Dein Evangelium zu verkündigen und Dein Lob zu singen.

 

Lass alle mit uns einstimmen in das Lied des Glaubens und der Hoffnung.

  

Amen

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