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Freue dich! Freude: Worüber?

Predigt über Jes. 66, 10 bis 14

 

Lätare am 22. März 2020 für Zion

Dr. Michael Feist, Bannewitz

 

 Liebe Gemeinde!

  

Sonntag Lätare: Freue dich! - Mitten in der Passionszeit? In der Zeit von Corona? Freude: Worüber? Pause auf dem Leidensweg - zum Atemholen, Stärkung zum Durchhalten (etwa bei sieben Wochen ohne bzw. In den Sorgen unserer Tage)? Das erinnert an Rast und Gaststätte bei langen Wanderungen. Freue dich - mit Jerusalem!

Vielen Menschen fällt es schwer sich zu freuen, in diesen Tagen und Wochen besonders. Sie erleben die Lasten von Leben und Alltag, leiden unter dem, was sie von außen und innen bedrückt. Vieles scheint trostlos. Ich denke an: 

  • Ende des 2. Weltkrieges 1945 mit zerbombten Städten; 
  • Zerstörung/Verwüstung in Grimma nach den 2. Hochwasser; 
  • traumatische Erlebnisse in Kriegsgebieten, in Syrien und anderswo; 
  • das Zerbrechen von Vertrautem hier im Land nach 1989; 
  • Verbrechen in Kassel, Halle, Hanau und anderswo.

 

Die Lage scheint oftmals hoffnungslos, die Menschen sind mutlos. Durchhalteparolen: „Rafft euch wieder auf, schaut nach vorn!“ (Trümmerfrauen). „Lasst den Mut nicht sinken!“ Aber Freude?

 

Wir kennen:

  • persönliche Niederlagen und Enttäuschungen;
  • schlimme familiäre Ereignisse;
  • Krankheiten, Schmerzen, den Tod eines nahen Menschen;
  • Arbeitslosigkeit, finanzielle Not, Trümmer des eigenen Lebens; Flüchtlinge/Asylbewerber in unserem Land - ohne Perspektive; Ereignisse/Situationen aus unserem Leben und Alltag;
  • Corona; ein „Unfall“, etwa Endzeit, wie Manche befürchten?

 

„Das Leben wird nie wieder schön!“, sagte mal ein trauriges Kind.

 

Angst, Orientierungslosigkeit, Egoismus, Rücksichtslosigkeit, Krankheit, Einsamkeit von Menschen, Burn-out, Depressionen - Vieles belastet, macht mutlos, verdunkelt unser Leben, lässt kaum Freude zu.

 

Appelle können zwar aufrütteln, in Bewegung setzen („Es muss weitergehen!“, „Nach vorn schauen!“), aber Freude erzeugen sie nicht.

 

Volk Israel aus Babylon zurück 

Das Volk Israel kehrt nach Jahrzehnten der Gefangenschaft in Babylon nach Jerusalem zurück. Was findet es vor? Jerusalem, der Tempel sind zerstört, heidnische Religionen und Kulturen sind eingedrungen. Das Volk Israel hatte in der Fremde gelebt, ist in Jerusalem fremd, gehört nicht dazu. Die Alten leben nicht mehr, die Jungen kennen die Stadt nicht. Mühen sind zu bestehen, Leid ist zu ertragen. Resignation, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung. Der Glaube ist angefochten. Die Lage scheint trostlos, ohne Hoffnung.

 

Das erinnert mich sehr an die Lage in Grimma nach dem zweiten Hochwasser 2013, als es OB Berger schwerfiel, den Einwohnern Mut zu machen und sie ein 2. Mal zu motivieren, oder an 1989, als unser Volk nach langer Trennung wieder zusammenfinden sollte.

  

Predigttext Jes. 66, 10 bis 14

 

Am heutigen Sonntag Lätare wird die Jesusgeschichte, vor allem seine Leidensgeschichte, in den Zusammenhang der Bundes-, der Beziehungsgeschichte zwischen dem Gott Israels und seinem Volk gestellt, und zwar als frohe Botschaft. Im Kommen, im Leiden und Sterben, in der Auferweckung Jesu ist Gott Jerusalem, dem jüdischen Volk, zu Hilfe gekommen. Die Völker, wir sind aufgerufen, sich mitzufreuen: Freuet euch mit Jerusalem!

 

In unserem Predigttext fordert Jesaja die Israeliten auf sich zu freuen, weil sie nach Deportation und Exil in Babylon endlich in ihre Heimat kommen und diese Heimat, die sie zerstört und verwahrlost vorfinden, wieder blühen soll. Als sie noch unterwegs waren, wurde ihnen ein Land versprochen, in dem Milch und Honig fließt. Jesaja prophezeit Blüte und Wohlergehen.

 

Textlesung: Jes. 66, 10 bis 14

 

Für eine Zions-Gemeinde ein besonderer Text: Freuet euch mit Jerusalem!

 

Was kann uns der Text sagen? (Auslegung) 

Freude lässt sich nicht verordnen; sie muss von innen kommen. Wohl ist es möglich, Leistungen, das Erreichen von Zielen, Ereignisse, Erleben und Genüsse vorstellbar zu machen, etwa besondere Geschenke, rauschende Feste, romantischen Urlaub, lustvolle Erlebnisse, besondere Freuden, mit ihnen Erwartungen zu wecken und Vorfreude auszulösen. Das haben wir sicher schon erlebt und können es uns ausmalen.

 

Aber Jesaja beschreibt, schwelgt und genießt, freut sich bereits an der verheißenen Fülle, er vergleicht seine Vision mit einem Kind, das die vollen Brüste der Mutter erlebt, ihre Wärme empfindet, saugt, reichlich trinkt, einem Kind, das Fülle, Liebe und Frieden erfährt. Da ist die Welt in Ordnung, da ist heile Welt.

 

Jesaja berührt damit Grunderfahrungen und Sehnsüchte, beglückend Erlebtes und erfüllend Erwartetes. Er blickt weit in die Zukunft der Stadt Jerusalem und darüber hinaus.

 

Der frühere Erlanger Theologe Slenczka sprach einmal von erschlossener Zukunft: Christen leben aus einer erschlossenen Zukunft, sie wissen um das Ziel ihres Lebens und gehen in dieser Gewissheit getrost ihren Weg, durch die Passionszeit auf Tod und Auferstehung Jesu, Überwindung des Todes, Tilgung von Schuld, ewiges Leben, ein Leben in der Nähe Gottes, der wie eine Mutter aufnimmt und tröstet, zu. Ja, es werden bessere Zeiten kommen. Euer Leben hat ein Ziel.

 

Das steht über allem, ist Grund zur Freude: Jesus ist kommen Grund ewiger Freude. Darum geht es - trotz all dessen, was uns belastet, auch in diesen Wochen und Monaten. Jesus hat mit der Überwindung des Todes das letzte Wort. Denken wir an die Frauen am Ostermorgen, die Emmaus-Jünger, Menschen in der Begegnung mit Jesus und ihre Freude - bis heute.

 

Dies prophezeit Jesaja in Jerusalem, der Stadt Zion: Sie ersteht wieder, der Tempel wird wiederaufgebaut, Jerusalem erlebt Blüte, gewinnt Bedeutung, wird Ort und Zeuge von Tod und Auferstehung Jesu.

 

Hier geschieht Wesentliches, hier wirkt Gott, von hier aus werden Menschen verwandelt - von innen heraus. Daher die Freude: Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude.

 

 

Einige Anmerkungen zum Text

 

1. Wer ist Gott?

Vater? Mutter? Das ist nicht wichtig. Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen! Aber: Ich will euch trösten wie eine liebende Mutter. Sie zieht ihr Kind an ihr Herz, lässt seinen Schmerz an sich heran, in sich hinein, empfindet mit und lässt ihr Kind die Wärme ihrer Liebe spüren. Da geht es um Nähe, Vertrautheit, Verstehen, Zuspruch, Versorgung, Verbindlichkeit, Zuverlässigkeit, tiefe Verbundenheit. Oft wurde berichtet, wie verletzte und verzweifelte Soldaten im Krieg nach der Mutter riefen! Wie oft denke ich - bis heute - an meine Mutter, etwa wie sie sich kümmerte, wenn ich krank war und es mir nicht gut ging! Da geht es um tiefe Sehnsucht und Verbundenheit. Trösten im Sinne unseres Textes ist viel mehr als Mitgefühl-Zeigen. Trösten wirkt in die Tiefe. Danach sieht die Welt wieder anders aus. So liebt, handelt Gott.

 

Gott weiß - wie eine liebende Mutter -, was wir brauchen und uns Mut macht. Er nimmt uns wieder auf - wie der liebende Vater den verlorenen Sohn. Er bietet uns seine Zuwendung an, sagt sie zu.

 

Aber: Gott ist mehr, nicht nur der sog. liebe Gott. Keine Verniedlichung: Gott ist der Allmächtige! In den Versen 15 und 16 heißt es: „Denn siehe, der Herr wird kommen mit Feuer … Er wird durch Feuer die ganze Erde richten und durch sein Schwert alles Fleisch, und der Getöteten werden Viele sein.“

 

Es ist der allmächtige Gott, der hier spricht, nicht der landläufig so bezeichnete liebe Gott, nicht das niedliche liebe Jesulein. Hier geht es um mehr: die Verheißungen des allmächtigen Gottes.

 

2. Welche Verheißungen nennt Jesaja??

In seiner Vision zu Jerusalem übermittelt Jesaja: „So spricht der Herr: Freuet euch mit Jerusalem, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden.“ Gott verheißt Freude und Fröhlichkeit, Fülle und Reichtum, Trost und Frieden (Schalom - das umfassende Heilsangebot Gottes). Das klingt paradiesisch, wie das Ziel unserer tiefen Sehnsucht nach Erfüllung und Frieden.

 

3. Wem gelten diese Verheißungen??

„Euch allen (in Vers 18 alle Völker), die ihr Jerusalem lieb habt.“ Bei Jerusalem, der Stadt Zion, in der Offenbarung des Johannes dem himmlischen Jerusalem, geht es um die Offenbarung Gottes. Er erneuert nach der Rückkehr aus Babylon seine Zusage an das Gottesvolk und macht seine Liebe deutlich: Wiederaufbau von Jerusalem und Tempel, Geburt, Tod und Auferstehung Jesu, Überwindung des Todes, Wiederkunft Christi am Ende der Zeit im himmlischen Jerusalem, ewiges Leben.

 

Jesaja ruft die Israeliten auf nicht aufzugeben, sich vielmehr zu freuen. Er versucht sie zu überzeugen, dass sich die Mühe lohnt, den Glauben zu bewahren, dass es eine Hoffnung gibt, weil Gott die Macht hat, Leid und Trübsal in Freude zu verwandeln.

 

4. Wie eine Mutter?

„Ich will euch trösten wie eine Mutter tröstet.“ Viele Kinder haben keine liebende, tröstende Mutter, keinen aufnehmenden, stärkenden Vater erlebt. Das ist bitter und macht für sie diese Vergleiche weniger leicht verstehbar. Ich denke an Kinder in Kriegsgebieten, an Opfer von Missbrauch aller Art - auch in Familie und Kirche. Da gibt es viele Wunden und große Not.

 

In uns allen steckt eine tiefe Sehnsucht nach Zuwendung und Geborgenheit, nach einer liebenden Mutter, die uns in den Arm nimmt und sagt: Alles wird gut! Deshalb ist es so wichtig deutlich zu machen, dass es solch Positives gibt, und Andere Zuwendung, Liebe und Trösten erleben zu lassen. Wo dies geschieht, erfahren Menschen einen Abglanz dessen, was Gott ihnen und uns zusagt.

 

Franz von Assisi ermahnte seine Brüder immer wieder: „Der eine sei dem Anderen wie eine liebende Mutter.“ Dies drückt aus, wie wir einander begegnen sollen - Kindern, Erwachsenen, Gemeindegliedern, Menschen in unserem Umkreis, Fremden.

 

Bei dieser Gelegenheit Dank an alle Mütter, die ihren Kindern durch Zeit, Zuwendung und Liebe einen gesunden Start ins Leben, Vertrauen ins Leben ermöglichen, ebenso den Vätern, die auf ihre Weise mit Zeit und Zuwendung dazu beitragen.

 

Folgerungen für uns als Gemeinde

 

1. Verbindungsstück

Unser Text kann/soll für uns Verbindung sein im Hin und Her unserer Welt und Zeit, zwischen Angst und Zuversicht, Verzweiflung und Hoffnung, Dunkel und Licht, Kummer und Freude. Ich denke dabei an Bonhoeffer, der angesichts seines nahen Todes sagte: „Dies ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens“. Niemandem fiele es leicht, so zu sprechen, aber solcher Glaube kann Mut machen in den Niederlagen, Enttäuschungen und der Verzweiflung unseres Lebens und Alltags. Das Maß unseres Glaubens hat Bedeutung für das Maß unserer Angst, auch und gerade in diesen Tagen.

 

2. Bedeutung des Textes für uns

Heute ist der Text uns gesagt: Auch in unserer Welt, der heutigen Zeit, in der Kirche, im persönlichen Leben gibt es viele Probleme, Orientierungslosigkeit, Resignation. Auch wir brauchen Trost und Ermutigung, Hoffnung und Zuversicht. Unsere Hoffnung steht dann auf festem Grund, wenn wir auf Gott bauen. Für uns schwingt da aber noch mehr mit als in der Vision des Jesaja:

 

Durch Jesus selbst und die Apostel wissen wir, dass er, der Mensch gewordene Gottessohn, Ziel und Erfüllung aller alttestamentlichen Prophezeiungen ist und damit auch der Schlüssel zu ihrem rechten Verständnis. Jesus hat deutlich gemacht, dass mit seinem Kommen und dem neuen Bund der Jerusalemer Tempel nicht mehr die Stätte ist, wo Gott bei seinem Volk wohnt und von wo aus er segnet. Jesus verkündete, dass sein Leib nun der neue Tempel ist. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Matth. 28, 20) Mit diesen Worten machte er deutlich: Im neuen Bund sind Reich Gottes und Jerusalem geistlich zu verstehen. Das himmlische Jerusalem, von dem Hebr. 22, 22 bis 24 spricht, ist bereits jetzt überall dort gegenwärtig, wo Christen sich in Jesu Namen versammeln.

 

Das gilt uns. Ob wir uns darauf, ob wir uns auf Jesus einlassen, liegt an uns. Wenn wir es tun: Freuet euch mit und an Jerusalem, lasst Euch trösten, findet Frieden.

 

Dieses Trösten und Frieden-Finden ist etwas Bleibendes, Tragendes, Verwandelndes. In Joh. 14, 26 sagt Jesus seinen Jüngern: Sie werden mich kreuzigen. Aber: „Der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ Jesus ist und bleibt da - mit seinem Geist. Beim Trösten geht es um mehr als Trostworte: um tiefe Zuwendung, existenzielle Veränderung, wahren Frieden und große Freude.

 

3. Suchet der Stadt Bestes (Jer. 29, 7)

Was zu Jerusalem gesagt ist, wirkt weit darüber hinaus, in alle Welt, erfasst das Gemeinwesen im Sinne eines Wortes aus Jer. 29, 7: „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn, denn wenn es ihr wohl geht, dann geht es auch euch wohl.“ Freut euch an ihrem Ergehen! Dies sollten wir bedenken, wenn es um unser Land geht: Es lebt von Voraussetzungen, die es selber weder geschaffen hat noch schaffen kann. Hier sind sie.

 

4. Zeichen der Hoffnung

Der Trost für das Gottesvolk soll ein Hoffnungszeichen für Andere, für die Völker, für uns sein: Leiden wahrnehmen und gleichzeitig hoffen auf das, was vor uns liegt.

 

5. Deshalb: Nicht (nur) von Trost reden, sondern trösten

Angesichts dessen geht es für uns als Gemeinde nicht darum, von Trost nur zu reden, sondern wirklich zu trösten, nicht von Liebe nur zu sprechen, sondern uns Anderen zuzuwenden, Liebe erfahren, Menschen mitleben zu lassen, nicht Freude zu verkündigen, sondern uns mitzufreuen, Freude erleben zu lassen.

  

6. Corona als Chance?

Unser Leben unterliegt in diesen Tagen einschneidenden Beschränkungen. Machen wir uns Wesentliches bewusst und überlegen als Gemeinde, wie wir Menschen - Alten, Kranken, Schwachen, Einsamen - Mut machen und beistehen können, damit sie Zuversicht gewinnen und Freude entsteht.

 

Lätare - Freue dich! 

Wir gehen auf Ostern zu. Das gibt Trost und Zuversicht - auch in schweren Lagen und Tagen. Gott ist da. Er hält die Welt in seinen Händen, er regiert. Er sorgt für uns. Vers 14.: „Ihr werdet´s sehen und euer Herz wird sich freuen“. Eine verbindliche Zusage,

 

Wer treu bleibt bis ans Ende, der wird selig. Das ist die Botschaft an Lätare, mitten in der Passionszeit, mitten in unseren Alltag mit seinen Sorgen und Nöten. Das ist Grund zur Freude. Deshalb: Freuet euch!

 

Amen

Kommentare: 1
  • #1

    Christel Simon (Donnerstag, 26 März 2020 21:56)

    Herzlichen Dank für die trostreichen und aufmunternden Worte. Besonders gefiel mir der Abschnitt "Folgerungen für uns als Gemeinde". Lassen wir in "Zion" uns also nicht aus den Augen, sondern greifen zum Telefonhörer oder zu einem Karten-, E-Mai- oder WhatApp-Gruß und erfahren dadurch: wir sind einander nahe!