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Wie Bach dem Glauben eine Stimme verleiht

Vor drei Jahren bekam ich eine Konzertkarte geschenkt. Und so saß ich unvermittelt in der Frauenkirche im Weihnachtsoratorium Kantate IV-VI.

Sicher bin ich nicht der Einzige unter uns, der eine Gesamtaufnahme des Oratoriums zu Hause hat, und ich bin wohl auch nicht allein damit, beim Anhören über Teil III nicht hinauszukommen. Nun also ein Konzert mit Unbekanntem, warum denn nicht.

Und es sollte mir unvergesslich werden. Zu Ende der Kantate IV sang der Tenor und zwei Violinen eine Fuge. Sie haben richtig gelesen: sie sangen alle drei. Den Text musste ich später nachlesen, ich verstand ihn vor Ort nicht. Aber trotzdem war es ein Moment der vollkommenen Schönheit; zu erleben, wie Instrument und Stimme verschmelzen und nur das eine wollen: Gott loben. Ich verstand in diesem Moment, was im Magnifikat ‚Meine Seele erhebt den Herren‘ gemeint ist.

Noch viel größer war meine Begeisterung, als ich dann daheim den Text nachlas:

 

Ich will nur Dir zu Ehren leben // Mein Heiland gib mir Kraft und Mut // Dass es mein Herz recht eifrig tut!

 

Und dann begriff ich, wie Bach die Worte vertont hat. Dem Herrn zu Ehren leben kann man nicht aus eigener Kraft – und nicht allein. Es sind gute Worte, aber ohne die Melodie eben nur bloße Absicht. Auch die Melodie ist gefällig, aber eine Tonfolge, die man nicht singen kann. Ich habe mich in verschiedenen Aufnahmen umgehört: selbst Peter Schreier scheitert. Alle, welche sich auf die Worte konzentrieren, zerstören die Stimmung. Nur wenn der Sänger sich zurücknimmt und sich auf die Gemeinschaft mit den Instrumenten einlässt, entsteht Vollendung - und dann ist es mehr als nur eine Summe von Teilen.

 

Wie kein anderer hat Bach dem Glauben eine Stimme verliehen und unseren Herzen zugänglich gemacht. Durch ihn können auch wir nüchternen Protestanten mystische Erfahrungen machen und können am Leib erfahren, was unser Geist erdenkt.

 

Jan Holfert

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