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Neu anfangen

Leeres Notizbuch
Bild: Jan Kahánek/ unsplash.com

Wenn jemand zu Christus gehört, gehört er schon zur neuen Schöpfung. Das Alte ist vergangen. Seht doch! Etwas Neues ist entstanden!

2. Kor 5, 17

 

Ich muss gestehen: Ich habe eine Unart kultiviert: Ich schreibe Notizbücher nie bis zum Ende voll. Irgendwann höre ich auf und fange ein neues an. Nach unserem Umzug nach Dresden habe ich mindestens 20 Notiz- und Tagebücher gefunden und frage mich nun, was ich damit machen soll. Und wie es soweit gekommen ist. Stimmt etwas nicht mit dir? Geht dir das auch so? Ich bewundere die Menschen, die konsequent und diszipliniert ihre Gedanken Tag für Tag zu Papier bringen können und das über Jahre. Und vor allem: bis zum Ende des Notizbuches.

 

Ich kann das nicht. Und vielleicht will ich es auch nicht. Denn ich will etwas anderes: Neu anfangen dürfen. Ein neues Buch, ein neues Heft, ein weißes Blatt Papier, das nicht von den Krakeln der Vergangenheit gezeichnet ist. Schön und verheißungsvoll. Ich will mit meinem Notizbuch so verfahren, wie ich es auch in meinem Glauben erlebe: Ein neuer Anfang ist immer möglich.

 

Im Glauben an Gott liegt das tiefe Zutrauen, dass mein Leben bei ihm aufgehoben ist. Weder das Vergangene, das Gegenwärtige noch das Zukünftige kann mich von seiner Liebe trennen. So hat es zumindest der alte Paulus gesagt (Röm 8,37-39) und ich verlass mich einmal auf diese Einsicht. Und zu einem anderen Zeitpunkt hat er festgestellt: Wenn jemand zu Christus gehört, gehört er schon zur neuen Schöpfung.

 

In der Tat lassen sich manche Verirrungen und Fehler und Schuld der Vergangenheit nicht so einfach wettmachen. Und ich kann mir auch kein neues Leben im Schreibwarengeschäft kaufen. Was gewesen ist, ist gewesen. Es ist Teil meiner Vergangenheit. Aber dort darf es auch bleiben.

 

Denn was mich an Schwerem und an Schuld belastet, das findet bei ihm Vergebung und Versöhnung. Das, was mir widerfahren ist, hält er in seinen Händen und sagt mir zugleich: Es soll nicht dein Schicksal werden. Du darfst neu beginnen. In Christus bist du ein neuer Mensch.

 

Es ist, als würde ich ihm mein vollgekrakeltes Notizbuch geben und er gibt mir ein ganz neues, weißes, unbeschriebenes. Das andere, das bleibt bei ihm, aufgehoben. Löschen wird er es nicht. Und er wird es mir auch nicht ersparen, mich denjenigen Krakeln noch einmal zu widmet, mit denen ich auch das Leben anderer beschmiert habe.

 

Aber ich kann noch einmal neu beginnen. Ein neues Buch aufschlagen, es noch einmal versuchen, etwas anders machen und sehen, wie weit ich komme – weiser und klüger aus den Versuchen davor, wohlwissend, dass das vermutlich nicht das letzte Heft sein wird, was ich da anfange. Dass da auch offene Enden sein werden. Ja. Das Alte aber darf vergangen sein.

 

Und ich komme zu dem Schluss: Vielleicht gleicht mein Leben eben nicht einem Buch, dessen Kapitel logisch und klar aufeinander folgen. Vielleicht ist es doch eher eine Bibliothek voll nicht-zu-Ende-geschriebener Notizbücher. Eine Bibliothek des Scheiterns, denkst du vielleicht. Ich denke es ist etwas ganz anderes: ein Zeugnis des immer wieder möglichen Neuanfangs.

 

Wie ist es bei dir? Schreibst du noch in Notizbücher? Und wenn ja: Füllst du sie bis zum Ende?

 

Karin Großmann

Studierendenpfarrerin

 

Quelle: Sonntag_Gedankentanken #2, 10. Mai 2020

 

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